Betrachtungen zu Sicherheit und Freiheit
By Giles
Ein Motiv, das in der Eigenwerbung der Sicherheitsverantwortlichen in Politik und der Buchstabensuppe der Agenturen immer wieder auftaucht ist die Kontrastierung von Sicherheit und Freiheit:
Die Behauptung ist, dass wir zu Gunsten unserer Sicherheit, „ein paar Einschränkungen“ in unserer Freiheit hinnehmen müssten. So tief hat sich dieses Bild in den Diskurs eingebrannt, dass auch viele Gegner der ubiquitären Überwachung (eigentlich besser: „Analyse“ – „Überwachung“ evoziert das falsche Bild von Agenten mit Kopfhörer und Tonband) sich ihm nicht entziehen können. Aber gibt es diesen Gegensatz tatsächlich? In einem freien Rechtsstaat eigentlich nicht.
Sicherheit im freien Rechtsstaat
Es ist schlechterdings unbestreitbar, dass eine der Kernaufgaben eines jeden (modernen) Staates die Erhaltung einer objektiv vorhandenen und von seinen Bürgern auch subjektiv so empfundenen stabilen Ordnung ist. In diesem Sinne definiert bereits die (nie in Kraft getretene) französische Verfassung von 1793 den Begriff der Sicherheit:
Art. 8. Die Sicherheit beruht in dem Schutz, den die Gesellschaft jedem ihrer Glieder für die Erhaltung seiner Person, seiner Rechte und seines Eigentums zusichert.
Diese so bestimmte Sicherheit, wie sie in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die der Verfassungsurkunde als Präambel vorangestellt ist, ist hier nicht zufällig als Recht – oder sogar Freiheitsrecht – verfasst: Sicherheit ist damit gerade kein Gegensatz zum Freiheitsbegriff, sondern als „Freiheit-von“ verstanden gleichsam als eine Voraussetzung jenes anderen, häufiger gedachten, Aspekts von Freiheit, den ich als „Freiheit-zu“ bezeichnen möchte.
Die Erhaltung der Sicherheit als Freiheit-von zur Gewährleistung der Handlungsfreiheit der Individuen, also deren Freiheit-zu, ist dann auch die primäre Legitimation für die Ausübung staatlicher Gewalt in allen vertragstheoretischen Gesellschaftsbildern (z.B. bei Locke oder Kant).
Klassischer Weise ergibt sich aus dieser Sichtweise die Handlungsanweisung für die Organe des Staates, Verhalten zu sanktionieren, das gegen gesetzliche Regeln verstößt, und _bei konkretem Verdacht, _ auf vorbereitete Gesetzesverstöße (und nur dann) präventiv zu handeln, nämlich deren Vollendung zu verhindern.
Anders gesagt: Die Schutzpflicht des Staates erschöpft sich nach diesem Modell in der Erhaltung der maximalen Freiheit des Einzelnen durch einen Eingriff an genau der Stelle wo dessen Freiheit durch die (freie) Handlung eines Dritten bedroht ist.
Da die Verpflichtung des Staates zur Erhaltung der Freiheit-von des Einzelnen auch seine (des Staates) möglichen eigenen Maßnahmen beinhaltet, entsteht ein Gleichgewicht aus persönlicher Freiheit-zu und staatlichen Maßnahmen zur Erhaltung der Freiheit-von.
Aushöhlung durch Prävention
Dieses Gleichgewicht eines „So wenig wie möglich – so viel wie nötig“ (ich möchte es „Prinzip der Minimal-Intervention“ nennen) gerät jedoch aus dem Lot, wenn die Gesetzgebung den Präventionsaspekt über Gebühr betont: Die Schutzpflicht des Staates erweitert sich von der konkreten auf die potentielle Gefahr – was den Bürger immer stärker dem staatlichen Eingriff in seine Freiheit-zu aussetzt; mehr noch – da nun er selbst als potentieller Täter gesehen wird, vertieft sich der Eingriff in die Grundlagen seiner Freiheit, als Freiheit-zu stetig, während der Staat den Bereich der Freiheit-von zunehmend einschränkt. Hier entsteht der Gegensatz von Sicherheit und Freiheit, weil dieser so neu bestimmte Sicherheitsbegriff eben nicht mehr in der Gewährleistung der Freiheit-von (nämlich von Eingriffen in die Freiheit-zu) besteht, sondern staatliches Handeln gerade in die Freiheit des Einzelnen zur Handlungsentfaltung eingreift.
Es kann und soll an dieser Stelle nicht geklärt werden, was die Überbetonung des Präventionsaspektes in der Gesetzgebung ausgelöst hat. Möglich ist immerhin, dass präventionsorientiertes Denken aus den Regulierungsbemühungen zur technischen Sicherheit und verwandter Bereiche (z.B. Umweltschutz) in die allgemeine Gesetzgebung Eingang gefunden hat, wie Andreas Bauer vermutet (Bauer, A., Die notwendige Kontrolle des Sicherheitsstaates in: Beckedahl, M. und Meister, A. (Hrsg): Überwachtes Netz -Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal der Geschichte, Berlin 2013). Sicher ist aber, dass wir sie seit Beginn der 1990er Jahre in allen westlichen Demokratien finden. Ansätze lassen sich freilich schon früher ausmachen – so wird z.B. im Zusammenhang mit dem Ringen um den Umgang mit dem Terror der RAF in den1970er Jahren vom Verfassungsgericht die staatstheoretische Grundlage dessen gelegt was der damalige Innenminister Friedrich im vergangenen Juli als „Supergrundrecht auf Sicherheit“ fehlinterpretiert.
Die Vermischung von „innerer“ und „äußerer“ Sicherheit
Eine wichtige Zäsur im Hinblick auf „Sicherheitspolitik“ muss vermutlich im Zerfall der Sowjetunion, dem damit verbundenen Aufbrechen des „bipolaren Weltbilds“ und der darauf in nahezu atemberaubenden Tempo sich entwickelnden Globalisierung gesehen werden: Militär und Geheimdienste müssen sich nun neu orientieren, zugleich aber scheint es nötig, sich gänzlich neuen Bedrohungen zu stellen: Parallel zur Globalisierung der Wirtschaft, beginnt sich auch das Verbrechen zu globalisieren.
In der Reaktion beginnen die Bereiche innerer und äußerer Sicherheit in einander zu fließen, denn – so das politische Credo – es gelte dem international agierenden Verbrechen (und Terrorismus) auch international etwas entgegen zu setzen.
9/11 und der Siegeszug des Präventionsgedankens
So sind sowohl die Überbetonung der Prävention in der Gesetzgebung, als auch die Aufweichung der Grenzen zwischen „innerer Sicherheit“ und „äußerer Sicherheit“ bereits etabliert, als die Perspektive auf Sicherheitspolitik mit den Anschlägen vom 11. September 2001 sich erneut verschiebt: Der Angriff – obwohl von amerikanischem Boden auf amerikanischen Boden ausgeführt – wird allgemein als Angriff von außen wahrgenommen, auch weil sich die Attentäter selbst so verstehen. Anders als bei einem kriegerischen Angriff, ist diesem Gegner aber nicht mit den klassischen militärischen Methoden beizukommen (dass man es dennoch später versucht, unterstreicht eigentlich die Hilflosigkeit, mit der die Sicherheitsbehörden und Miltitärs den Anschlägen gegenüberstehen – und diese Lesart setzt voraus, dass man nicht andere, noch weniger schmeichelhafte Gründe für die Kriegsentscheidung unterstellt).
Die Folgen sind zunächst die aufwändige (und in ihrem Nutzen zweifelhafte) Sicherung der Grenzen, verstärkt an Flughäfen, und die Ausweitung der Befugnisse von Ordnungskräften, wie die (Wieder-)Einführung repressiver Maßnahmen wie der sogenannten „verdachtsunabhängigen Personenkontrollen“.
Der Wandel in der inneren Verfasstheit des Staates ist indes noch weitgehender: Mit seinem Anspruch, Ereignisse wie den Terroranschlag vom 11. September 2001 künftig jederzeit abwehren zu können, wandelt sich der Rechtsstaat und nimmt Züge des <Präventionsstaats> an.
Es ist an dieser Stelle angezeigt, darauf hinzuweisen, dass obwohl einige Länder bereits nah an der Grenze zum Präventionsstaat wandern (hier ist besonders auf Großbritannien zu verweisen, wo mangels einer Verfassung, welche in anderen Ländern dem ungehemmten Übergang Einhalt zu gebieten vermag, die Gefahr am größten ist) diese noch in keiner westlichen Demokratie sichtbar überschritten wäre. Vergleiche mit totalitären Systemen verbieten sich daher und sind zudem kaum zielführend.
Prävention und unsere Daten
Dass Präventionsdenken und die Anhäufung von möglichst vielen Daten über das zu schützende System eng verbunden sind, ist wenig verwunderlich: Jede Risikoanalyse steht und fällt mit Qualität und Größe des über das System verfügbaren Datensatzes. Allerdings darf man sich schon angesichts der Komplexität eines sozialen Systems (und im Falle der sicherheitspolitschen Gefahrenabwehr, insbesondere des viel beschworenen internationalen Terrorismus, ist es ja auch noch eine Interaktion vieler solcher Systeme) fragen, in wie weit mit Methoden der Risikoanalyse überhaupt Sicherheitspolitik gestaltet werden kann. Denn anders als beispielsweise bei der Risikobewertung von klar beschreibbaren Großveranstaltungsszenarien, wie z.B. Fußballereignissen, wo man im wesentlichen die Agenten und ihre Motivation kennt, und ihr Verhalten bewerten kann, ist es z.B. im Bereich der Terrorabwehr kaum möglich sinnvolle Bewertungsmethoden zu entwickeln. Kants Hoffnung, das Problem des friedlichen Zusammenlebens sei „selbst für ein Volk von Teufeln“ auflösbar, „wenn sie nur Verstand haben“, scheitert hier an dem Fehlen eben jenes Verstandes, in der Form von „zweckmäßigem Handeln im Interesse der Selbsterhaltung„. Das macht den Terroristen gänzlich „unberechenbar“, entzieht ihn, mithin jeder Form der Risikoanalyse.
Übrig bleibt dann die flächendeckende Überwachung/Analyse aller, die ihrerseits zunächst und recht eigentlich nicht mehr als ein Akt der Hilflosigkeit ist und zudem eben die Existenz des freien Rechtsstaates gefährdet. Die Erfolge einer solchen flächendeckenden Präventionstätigkeit können nur minimal sein. Das zeigen auch verschiedene Studien – konkret zur Arbeit der NSA z.B. diese Studie der New America Foundation.
Die Kosten für den Rechtsstaat und die Freiheit sind dagegen gewaltig: Jeder Bürger wird damit zu jeder Zeit wie ein potentieller Täter behandelt, und beginnt sich unter ständigem Überwachungsdruck selbst zu zensieren.
Nun gibt es eine wachsende Zahl derer, die fürchten, dass eben das das Ziel der ausufernden Überwachungswut sei. Dass man nicht mehr sofort geneigt ist, diesen Leuten die Aluhüte abzunehmen, spricht an sich schon Bände, aber etwas komplexer dürfte die Lange dann wohl doch sein.
Gesellschaftliche Verantwortung
Da sind zunächst einmal die Dienste selbst. Selbst wenn wir nicht der verschwörungstheoretischen Einschätzung anhängen, hier würde eine eigene, finstere Agenda verfolgt, müssen wir zugeben, dass etwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen ist. Eigentlich ist das gar nicht so verwunderlich: Die Gemeinschaft der Nachrichtendienste ist eine geschlossene Gesellschaft. Zum einen wirken hier selbstverstärkende Prozesse – die finden sich übrigens in fast jedem Beruf: kaum ein Staatsanwalt, der eine gute Meinung von seinen Mitmenschen hat, eben weil er immer nur mit den devianten Elementen der Gesellschaft zu tun hat -; zum anderen ist es natürlich, dass eine einmal geschaffene Struktur sich und seine Existenzberechtigung immer wieder zu belegen versucht, und dass sie ein Gefühl von „Wir-gegen -die-Anderen“ entwickelt.
Neben der Öffnung der Dienste, dem Aufbrechen der Strukturen gäbe es natürlich eine drastische politische Maßnahme, die dem Treiben recht effektiv ein Ende setzen könnte: Man könnte der Buchstabensuppe schlicht die Mittel streichen oder wenigstens drastisch kürzen. All der Aufwand ist teuer. Ohne großzügige Finanzierung wären die Programme der Dienste nicht möglich.
Diejenigen die das aber zu entscheiden hätten stecken in einem Dilemma an dem wir, die Bürger, nicht ganz unschuldig sind: Sie wollen unsere Stimmen und die glauben sie nur bekommen zu können, wenn sie uns auch beschützen können. Vor den Terroristen, vor dem Verbrechen, vor allen, die gegen unsere Freiheit stehen. Und eine Mehrheit von uns erwartet genau das. Dabei spielt es kaum eine Rolle, dass es eine ganze Reihe der Bedrohungen, vor denen wir uns fürchten gar nicht oder wenigstens so nicht gibt (ja, manche der „Bedrohungen“ sind vielleicht sogar nur einem Wahlkampf geschuldet). Wir leben in einer diffusen Furcht (so diffus, dass wir nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass der Anteil z.B. an Todesfällen durch Terrorismus in unseren Ländern so verschwindend gering ist, dass es fast lächerlich ist, sich darüber zu sorgen, nicht aber vorm Überqueren einer Straße), einer Furcht, die uns von den Medien – und längst nicht mehr nur den einschlägigen – jeden Tag aufs neue bestätigt zu werden scheint.
Auch diese Strukturen müssen wir aufbrechen, wenn wir zu einem Sicherheitsbegriff zurückkehren wollen, der mit der Freiheit des Einzelnen nicht nur kompatibel, sonder ihm gar beigeordnet ist. Und wir müssen aus unserer Bequemlichkeit erwachen. Denn Freiheit braucht Pflege. Sie braucht Bürger, die die Gewalt des Staates hinterfragen, sie braucht Bürger, die sich einbringen und die die Freiheit, die sie verlangen auch nutzen.